Eine freundliche Familie. Vater und Mutter in den Dreißigern, mit nahöstlicher Hautfarbe und Nasenform, dazu eine goldige, ca. vierjährige Tochter und ein vielleicht sechsjähriger Sohn.
Irritierend: während der gesamten viertelstündigen Fahrt brabbelt der Knirps vor sich hin: "... Ich will in der Mitte sitzen... Die verdammten Autos sollen schneller fahren... Schau mal, eine verfickte Baustelle. Nur wegen dieser verfickten Straßenbahn... Die verdammte Ampel ist schon wieder rot..."
Wahrscheinlich wäre es besser, sich keine Gedanken darüber zu machen.
Aber man fragt sich doch, was wohl passieren wird, wenn der Kleine seiner Sprache später nicht mehr Herr wird. Und auf Leute trifft, die es gewohnt sind, Worten Gewicht beizumessen.
Oder wenn er tatsächlich mal sein Missfallen ausdrücken möchte und feststellen muss, dass der inflationäre Alltagsgebrauch der geringen Auswahl an deutschen Schimpfwörtern ihn dieser Möglichkeit beraubt hat.
ledaeth - 13. Dez, 00:48
"Das Verfahren der Music of Changes, so wie es sich darstellt, impliziert eine Entgegensetzung eines expressiv-konkreten, körperlichen Materials mit einer Extensionalität konstituierenden, an räumliche Metrik gebundenen Technik, in der sich die Körperlichkeit des Materials zugleich als abgeschlossene, kreisförmig ruhende konkretisiert wie die Einzigartigkeit des Referenzpunktes der körperlichen Mitte auflöst."
sätze wie dieser, mein lieber herr schädlich, sind in reiner reihung ungeeignet, einen text zu formen, dem ein nur bedingt belastbarer leser zu folgen imstande ist. versuchen sie doch bitte nächstes mal, ihre aufsätze mit dem einen oder anderen leicht fasslichen lichtblick aufzuhellen. sie werden deshalb nicht weniger wissenschaftlich sein.
ledaeth - 8. Dez, 17:31
Halb zwölf.
Ein Verbindungshaus.
Es steigen ein: ein fuchsgesichtiger, feister Betrunkener in feinen Klamotten, der mich alkoholkurzsichtig anzuvisieren versucht (vorne), ein blasse weibliche Stimme, die sich später als seine Freundin herausstellt (hinten links), ein undefinierter männlicher Umriss, der sich im späteren Gespräch merklich still verhält (hinten rechts).
Nachdem das Ziel der Reise mir mitgeteilt und die Implikationen von Partymotto und zu erwartenden Gästen untereinander geklärt sind, hat der schwammige Schnösel offensichtlich noch Gesprächsbedarf.
"Was seid ihr denn für eine Firma? Ich hab noch nie was von euch gehört. Privattaxi, hä?"
"Nein, alles ganz legal. Mietwagenfirma."
"Ich hab von einem Freund die Nummer bekommen, nur eine Handynummer, sonst nichts!"
"Was brauchst du denn noch, außer einer Telefonnummer, um ein Taxi zu rufen?"
"Na, ich wusste überhaupt nicht, dass es euch gibt. Keine Werbung, keine Visitenkarten..."
Man bekommt den Eindruck, dass ein Betrieb, den er nicht kennt, automatisch eine dubiose Sache sein muss. Und wer keine Werbung macht, hat erst recht keine Existenzberechtigung. Ich drücke ihm eine Visitenkarte in die Hand, in der Hoffnung, ihm damit etwas Halt zu geben.
"Bitte sehr. Da steht allerdings auch nicht mehr drauf, als die Telefonnummer."
"Na dann brauch ich keine", bemerkt er gedankenstark und macht eine ungelenke Handbewegung, die wohl entweder dazu gedacht war, die Karte aufs Armaturenbrett zu legen, oder dazu, sie mir zuzuwerfen. Die Karte jedenfalls flattert in meinen Fußraum und bleibt unbeachtet und unkommentiert dort liegen. Er mustert mich kurz unter halbgeschlossenen Lidern.
"Was studierst du?"
Zwei Möglichkeiten: entweder ihm erklären, dass ich keine Lust habe, ihm mein Leben zu erörtern – und mir damit Unverständnis und Erklärungsbedarf einhandeln, was notwendig zu weiteren, noch komplizierteren Gesprächen führen muss –, oder für die Dauer der noch verbleibenden fünf Minuten mitspielen. Wider besseres Wissen entscheide ich mich für das vermeintlich Einfachere.
"...Germanistik."
"Also wirst du Lehrer."
"Um Gottes Willen, nein. Magister."
"Und was kann man damit anfangen?"
"Keine Ahnung. Gibt kein festes Berufsbild."
"Aber du studierst das doch."
"Ja, weil es mich interessiert. Alles andere seh' ich dann später."
"Versteh mich nicht falsch, ich find das auch total spannend. Aber was für Perspektiven gibt es denn?"
"Ich studiere Germanistik, weil es mir Spaß macht", wiederhole ich. "Was ich dann damit anfange, weiß ich noch nicht."
Er stiert mich sprachlos an. Der Sarkasmus meiner nächsten Worte perlt ohne jede Wirkung von ihm ab: "Verstehst du nicht, ne?"
"Nee." Pause. "Aber man kann doch nicht davon leben."
Langsam wird’s mir zu blöd. Ich ziehe mich auf die in diesen Fällen übliche Strategie der Einsilbigkeit zurück. "Doch."
"Mit Taxifahren."
"Zum Beispiel."
"Dein Leben lang."
Soll ich ihm erklären, dass ich bei Schlafentzug aggressiv werde und die letzte Nacht durchgearbeitet habe und er deshalb besser aufhört, mich zu nerven... oder soll ich ihm einfach direkt den Ellenbogen ins teigige Gesicht rammen?
"Hatte ich nicht vor."
"Aber was kannst du denn damit machen?"
"Hey", ich schaue ihm das erste Mal direkt und intensiv in die Augen und versuche ihm auf diese Weise klar zu machen, dass ihm hier ein Mensch gegenübersitzt, und dass dieser Mensch genervt ist, "alles was du willst! Alles, was mit Sprache zu tun hat!"
"Ah. Es gibt da auf youtube, kennst du bestimmt, so eine leicht bekleidete Dame namens Orlova [?], die macht auch immer sprachlich sehr dezidiert..."
Ich bin kurz davor, ihn raus zu werfen. Leider sind wir fast am Ziel. Als Strafe für Dummheit, Unsensibilität und Engstirnigkeit käme diese Maßnahme also viel zu spät. So falle ich ihm einfach nur ins Wort. "Ja, genau das werde ich machen. Weil es ja überhaupt keine anderen Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen." In einem letzten verzweifelten Versuch, das Gespräch rumzureißen, ergreife ich viel zu spät die Initiative: "Was machst du denn?"
"Ich bin Anwalt", verkündet er stolz.
"Das hab' ich mir gedacht."
"Warum?"
Ich muss kurz nachdenken, eine halbe Sekunde lang fallen mir nur Beleidigungen ein.
"Zielgerichtete Fragen, zielgerichtetes Leben", bringe ich schließlich heraus. Der negative Unterton ist völlig verschwendet. Vermutlich fasst er diese Bemerkung als Lob auf.
"Aber das sind doch durchaus ungeklärte Fragen", assistiert ihm plötzlich ein langweiliges, dünnes Stimmchen von hinten, in einem Tonfall, der sagt: ‚Du redest komisch zu meinem Schatzi, du böser, böser Taxifahrer!’
"Ja, und die halte ich mir auch gerne offen," beende ich das Gespräch, denn wir sind endlich da.
Er braucht noch eine ganze Weile, um das Kleingeld aus seiner Börse zu sammeln, die ihm dabei herunterfällt. Die Stimme, wie der zweite Mann längst ausgestiegen, eilt geflissentlich herbei und kümmert sich um ihren Liebsten. Seine letzten Worte, während er auf die Haustür zuwankt, sind „Party on!!“
Ich mag die Hoffnung nicht aufgeben, dass das einer seiner schlechteren Momente war.
Aber es gestaltet sich schwierig.
Armes Deutschland. Wenn das deine Rechtshüter sind...
ledaeth - 30. Nov, 15:07
ich freue mich auf meine geschenke.
das ist sehr erfreulich, doch nicht auch ein wenig gefährlich? was, wenn sie noch gar nicht gekauft sind? was, wenn sie zerbrechlich sind?
nun ja, sicherlich, es ist wohl sicherer, sich auf orte zu freuen, als auf gegenstände. die sind beständiger. wie wäre es, wenn ich sagte: ich freue mich auf den weihnachtsmarkt!
ich kenne dich, das entspräche wohl kaum den tatsachen.
aber angenommen es funktionierte! wenn ich mich ordentlich und konzentriert darauf freue... wäre das nicht fantastisch? die lösung heißt nicht beamen oder teleportieren oder sonstiger technischer schnickschnack, die lösung heißt freude!
und was passiert dann, wenn du dich über etwas freust, na? schon mal an die potentielle fallhöhe gedacht?
...ja. ...warum musst du immer alles schlecht machen?
ledaeth - 26. Nov, 09:19
wir sind diejenigen, die verstehen wollen.
wir sind diejenigen, die hinter allem einen sinn vermuten.
wir sind diejenigen, die keine praktikablen lösungen wollen, sondern die richtigen.
warum?
weil wir auf der suche nach etwas sind,
das echt, wahr und ewig ist und
an dem wir uns festhalten können.
weil wir unsicher sind.
weil die zeit uns einholt, jedes mal.
ledaeth - 23. Nov, 16:02
bei "ledaeth" (sprich: lidai[th], mit tiäitsch) ist im übrigen keine semantische verwandschaft mit "death" intendiert, was schon der eine oder die andere mit schrecken vermutete.
vielmehr handelt es sich um einen fantasienamen, der allein aufgrund des klangs gewählt und erschaffen wurde. (und hängen blieb, weil ihn mir im netz niemand streitig macht.)
allerdings gibt es wohl eine walisische entsprechung, ungefähr zu übersetzen mit "leid" oder "schmerz".
wenn es so wäre, hätte ich nichts dagegen einzuwenden und verspürte keinerlei drang, mich auch davon zu distanzieren.
ledaeth - 20. Nov, 12:59
keine notwendigkeit und eine gewisse aversion gegen das medium verbinden sich soeben und nun doch zu einem eigenen blog.
man erwarte keine geistigen höhenflüge, keine beschreibung von täglichen tätlichkeiten, keine regelmäßigen updates.
keine vollständigkeit und keine verständlichkeit.
hier geht es um gedanken, die manchmal an die oberfläche treiben.
gedanken zum persönlichen "training des aufrechten gangs" oder auch nur zum allgemeinen befinden der weltbevölkerung.
fetzen, die aus büchern und weniger prestigeträchtigen medien herausgetragen wurden.
bruchstücke, die von träumen oder tagwandlungen übrig blieben.
so zumindest der plan.
ledaeth - 19. Nov, 11:48